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Lernen & Lehren Meinungen

Die Freiheit der Lehre trifft auf 750 Erstsemester

Zugegebener maßen leitet der Titel diesen Beitrag polemisch ein. Worum geht es? Ich habe im vergangenen Wintersemester mit sieben weiteren Kollegen das Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ im Sinne eines Propädeutikums für acht verschiedene Studiengänge aus vier verschiedenen Fakultäten gelehrt. Sowohl bei den Kollegen als auch bei mir saßen in ein- und derselben Lehrveranstaltung z.B. Bioanalytiker, Sozialarbeiter, Betriebswirtschaftler und Innenarchitekten. Zur Erinnerung: Die Hochschule Coburg hat sich mit dem Projekt „Der Coburger Weg“ das Ziel gesetzt, die Studierenden systematisch zu interdisziplinären Denken und Handeln zu befähigen. Ein Ansatz dies zu fördern ist es sie gemeinsam die Grundzüge des wissenschaftlichen Arbeitens erlernen zu lassen. Insgesamt umfasste die Kohorte von Erstsemestern 750 Studierende. Die haben das Fach in Form eines seminaristischen Unterrichts in 35er Gruppen absolviert.

Im Verlauf des Semesters mussten wir jedoch feststellen, dass das studiengangübergreifende Angebot Optimierungspotenzial aufwies. Denn die Studierenden beklagten, dass die Inhalte sowie Anforderungen der Lehrenden signifikant voneinander abweichen, obwohl es einheitliche Prüfungsstandards sowie natürlich eine verbindliche Modulbeschreibung für alle acht Lehrenden gab. Gespräche der Lehrenden untereinander bestätigten dies, ebenso gab es auch von zwei Studiengangsleitern eine entsprechende Rückmeldung an mich in der Funktion als Studiendekan. Für das beschriebene Problem wurden in der Diskussion der Lehrenden untereinander die folgenden Ursachen ausgemacht:

  • Die Modulbeschreibung war nicht präzise genug verfasst, um eine vergleichbare Lehre zu leisten. Denn der vorliegende Text griff viele Lerninhalte auf, ließ aber zu viel Interpretationsspielraum dahingehend, wie umfangreich diese zu vermitteln waren.
  • Die Modulbeschreibung wurde von Lehrenden mit einem sehr heterogenen wissenschaftlichen Hintergrund in das Seminar überführt. Geistes- und Sozialwissenschaftler waren gleichermaßen mit diesem Fach betraut, weshalb eine annährend inhaltliche und vom Niveau her vergleichbare Lehre nicht zu leisten war.

In der Diskussion über die hier dargelegten Ursachen wurde vorgeschlagen, eine enge Absprache für das Fach vorzunehmen. Bestandteil der Absprache war es präzise Lektionen abzustimmen, die alle Lehrenden in ihrer Lehre verwenden sollten. Zusätzlich wurde für die operative Durchführung der Lehrveranstaltung vorgeschlagen, die direktiv zu vermittelnden Lerninhalte – also die Vermittlung des Fachwissens zum wissenschaftlichen Arbeiten – in einer Vorlesung darzubieten. Denn für die Vorlesung sprachen die folgenden Aspekte:

  • Alle Studierenden hören die Ausführungen bei den gleichen Lehrenden. Hierdurch werden inhaltliche Abweichungen minimiert.
  • Eine Vorlesung benötigt weniger Lehrdeputat, da zur gleichen Zeit sehr viele Studierende bedient werden. Dieses Lehrdeputat kann für die individuelle Förderung der Studierenden aufgewendet werden, um die Betreuungsrelation in den Übungen zu verbessern. Wir gehen derzeit davon aus, dass so die Gruppengröße in den Übungen von 35 auf 20 Studierende verkleinert werden kann.
  • Eine große Vorlesung kann per Video aufgezeichnet werden. Die Studierenden haben so die Möglichkeit verpasste Lektionen zuhause anzuschauen. Auch kann auf diese Lektionen in weiterführenden Semestern verwiesen werden, wenn Studierende z.B. in der Projektarbeit grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens nicht (mehr) beherrschen.

Die Vorlesung ist durch praktische Übungen zur Vertiefung der vermittelten Lektionen zu begleiten. Diese Übungen sollen studiengangbezogen, d.h. nicht mehr interdisziplinär angeboten werden, um eine hohe Passung der Aufgaben mit den Anforderungen der jeweiligen Studiengänge zu gewährleisten. Hier zeigt sich gut die besondere Herausforderung einer interdisziplinäre Lehre: Es muss immer abgewogen werden, ob eine fachübergreifende Lehre nicht das Ziel einer hochwertigen fachwissenschaftlichen Ausbildung tangiert. Aber das soll hier nicht das Thema sein.

Vielmehr möchte ich mit diesem Beitrag auf den Aspekt der im Hochschulrahmengesetz verankerten „Freiheit der Lehre“ eingehen. Denn um die fühlten sich einige Lehrende im Hinblick auf das diskutierte Konzept für die Lehrveranstaltung betrogen, was zu langen Diskussionen führte. Die Kritik ist keinesfalls von der Hand zu weisen und die kritischen Stimmen sollen mit diesen Zeilen nicht geringgeschätz werden. Denn durch die präzise Abstimmung der Lektionen um einheitliche Inhalte, und gar gleiche aktivierende Elementen in der Vorlesung, wird der Lehrende zum Ausführungsorgan eines vorgegebenen Fahrplans. Individuelle Stärken der Lehrenden gehen in definierten Lektionen unter; Inhalte, die sie oder er nicht gut beherrschen oder ideologisch nicht vertreten wollen, werden auf die Agenda geschrieben. Hierdurch entstehen Unsicherheiten. Auch ich spürte dies als Lehrender, z.B. bei der Diskussion über schreibdidaktische Aspekte der Lehrveranstaltung. Hier habe ich immer auf formale Aspekte des wissenschaftlichen Schreibens fokussiert – dabei geht es doch um viel mehr als das. Ich musste also eingestehen, dass meine Lehre bei diesem Aspekt nur rudimentär ist und ich einiges dazulernen muss.

Ist es das Wert? Bedroht die Forderung nach einer aufeinander abgestimmten Lehre die Freiheit derselben? Muss ich wählen zwischen der Zufriedenheit der Studierenden oder jener der Lehrenden? Wird der Anspruch nach Diversität von uns nicht richtig gelebt oder geht es einfach nicht ohne gemeinsame Standards?

Ich kann und will diese Fragen nicht pauschal sondern einzig bezogen auf den hier dargestellten Fall beantworten: Nach langer Diskussion hat sich die Mehrheit der Lehrenden – inklusive meiner Wenigkeit – für die gemeinsame Vorlesung und darauf abgestimmte Übungen entschieden. Hauptargument war letzten Endes: Die Studierenden müssen in etwa ein gleiches Verständnis vom wissenschaftlichen Arbeiten haben, wenn sie in aufbauenden Lehrveranstaltungen studiengangsübergreifend wissenschaftliche Projekte gemeinsam durchführen sollen.

Die lange Diskussion habe ich dabei als sehr wertvoll erlebt. Denn im Für und Wider haben wir bereits die Inhalte der Lehrveranstaltung abgesteckt und ich meine, eine sehr gute und besondere Vorgehensweise für dieses Fach in Bezug auf die Zielsetzung einer Hochschule für angewandte Wissenschaften geschaffen. Dieser Diskussionsprozess ist meiner Ansicht nach unumgänglich für solch ein Vorhaben. Und ist es nicht auch ein Akt der Freiheit von Lehre, wenn man sich gemeinsam auf einen Standard einigt? Die Diskussion ist für mich somit ein besonderer Weg der uns zeigt, wie die „Freiheit der Lehre“ mit den Forderungen nach „Qualität in der Lehre“ im System der akademischen Selbstverwaltung miteinander vereint werden kann. Oder anders ausgedrückt: Die Partizipation aller Beteiligten in einer Hochschule muss folglich ein tragendes Element für die Projekte im Rahmen des „Qualitätspaktes Lehre“ sein.

Wie geht es weiter? Unsere Vorbereitungen für das kommende Wintersemester sind in vollem Gange. Drei Lehrende werden die Vorlesung insgesamt an drei verschiedenen Tagen der Woche halten. Es gibt einen gemeinsamen Grobplan sowie für jede Lektion einen Feinplan über die zu vermittelnden Inhalte. Die Studierenden bekommen ein einheitliches Handout. Methodisch kann die Vorlesung von den jeweiligen Lehrenden individuell ausgestaltet werden, wobei wir uns auch hier Standards gesetzt haben: Mindestens zwei interaktive Phasen sind mit den Studierenden in den 90 Minuten durchzuführen, um sie aktiv in die Vorlesung einzubinden. Über die Erfahrungen bei der Durchführung werde ich dann im nächsten Jahr berichten – hoffentlich nur Gutes 🙂

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